2 · Puzzeln mit Phi


»Woher weißt du davon?«

»Nicht hier. Komm mit. Lass uns deine Kleine nicht wecken. Sie sollte sich ruhig noch etwas ausruhen.«

Azur ließ sich von seinem Bruder durch das Chaos ans andere Ende des großen Ateliers führen. Vorbei an Dutzenden Skulpturen in den verschiedensten Grautönen, gleich mehreren Schweißgeräten und Werkbänken voller Gipsmodelle, Skizzen und haufenweise Sammlungen verschiedenster Metallobjekte, die wohl noch auf ihren kreativen Verschmelzungsprozess warteten. Vor einem Modellierbock, auf dem eines der noch unfertigen Werke um einen Gips- und Styropor-Kern herum entstand, blieb Azur stehen. »Was wird das?«

Andro drehte sich belustigt zu ihm um. »Woher soll ich das wissen?
Ich bin nur der Künstler. Was es wird, kann ich dir frühestens sagen, wenn es irgendwie ... fertiger ist. Ich hab grad erst angefangen, seine äußere Form zu punktschweißen. Irgendwas fehlt noch. Aber es ist das letzte Teil einer Serie, die ich GraPha-MeMa-PuCha nenne.«

»Wer ist tot?«

»Grau-Phasen-Mechanik-Maschinen-Puzzle-Chaos ... oder so.«

»Graue Phase ...«

»Ja, ich träume seit Jahren von seltsamen Apparaturen. Erst dachte ich, die Stimmen in meinem Kopf sind so eine Art männliche Version einer Psycho-Muse. Als mich dann diese grünäugige Schlampe heimgesucht hat, war mir klar, dass mehr dahintersteckt. Sie wollte mich dazu zwingen, ihr irgendwas zu bauen. Seit ich allerdings Klein-Nasenbär adoptiert habe, hat mich die Hexe in Ruhe gelassen. Ach ja, weißt du ja noch gar nicht. Ich hab seit 'ner Weile einen Hund. Aber nicht erschrecken. Er ist ziemlich groß, uralt und ein ziemliches Zottelvieh. Ihm fehlt ein Teil seiner Schnauze, vorne. War wohl früher ein echter Streetfighter, der Arme. Sieht ziemlich zombie-like aus, ist aber ein ganz lieber Gruselwuff. Und das Coolste kommt gleich noch. Wirst du schon sehen.«

Durch zwei hohe Stapel aus alten Stahlfelgen hindurch, die wie mächtige Säulen bis unter die Decke reichten, betraten die beiden Brüder einen Bereich, der wohl als das improvisierteste Wohnzimmer der Welt bezeichnet werden konnte.

»Willkommen in der Lounge. Mach's dir auf der Couch gemütlich.
Das da ist Sir Nase ... und sein neuster bester Freund, seit vorhin.«

Azur war wirklich verblüfft. Während Andro noch die ein oder andere Unterhose und Stapelweise schmutziges Geschirr in eine große Kiste umdisponierte, nährte er sich den beiden einheitsgrauen Tieren, die es sich zusammen in der Couchecke gemütlich gemacht hatten. Er setzte sich neben die zwei.
Im gedimmten Licht der Weihnachtsbaumbeleuchtung konnte er kaum erkennen, wo das eine Tier aufhörte und das andere anfing, so eng hatten sich beide aneinander gekuschelt.

»Hallo Nase ... Hallo Krume.« Zwei müde Blicke bedachten ihn nur wenig interessiert.

»Krume? Kennst du den Kater? Also gehört er doch zu euch. Hat sich vorhin, als ich euch zwei reingeschleppt hab, einfach mit reingemogelt.« Andro stellte eine Flasche und zwei kleine Kegelpokale auf den schnell entstaubten Tisch aus Bierkästen und Baugerüstbohlen. »Schenk uns schon mal ein. Ich hol bloß noch schnell was.«

Azur tastete mit der einen Hand nach der Flasche, die andere näherte sich behutsam Krumes Köpfchen. »Was ist denn mit dir passiert, Kleiner ...? War wohl doch nicht so eine gute Idee mit dem K.O.-Hebel, was?« Krume schmiegte den Kopf in seiner Handfläche hin und her, während Azurs Daumen ihn vorsichtig über dem verletzten Auge streichelte. »Tut mir leid.«
Der struppige Wolfshund hob die Schnauze vom Couchkissen und begann damit, der Katze an seinem Bauch fürsorglich die tiefe Wunde zu lecken. »Ich hoffe der Kratzer verheilt schnell. – Sturmkratzer ging ihm durch den Kopf. – Vielleicht kannst du ja bei Onkel Andro bleiben. Kumpel Nase kümmert sich ja, wie's aussieht, gut um dich.«

»Hraff«, dann »Hraff ... Nass«, war die merkwürdig genieste Antwort auf diesen Vorschlag.

»Gesundheit, kleiner Kumpel. Hoffe, du hast dich in der Nässe da draußen nicht auch noch erkältet.« Um sich selbst aufzuwärmen, entkorkte er die Flasche und goss Andro und sich die Pokale voll, die wohl als Trinkgefäße herhalten sollten.
Gerade setzte er zu einem kräftig wärmenden Schluck an, als Andro sich ebenfalls auf das Sofa plumpsen ließ.

»Stopp! Hat die Flasche einen Smiley drauf?« Ohne eine Antwort abzuwarten, tauschte der Gastgeber die Flaschen, nach einem hastigen Prüfblick. »Ups, das hier ist Bremsenreiniger – Rotes Kreuz. Das hier ist der richtige Stoff – blauer Smiley. Hat ja alles seine Ordnung hier.« Unbekümmert tauschte er auch die Gefäße aus und stieß mit seinem Bruder an. »Zum Wohl, Kiro-Brudi! Auf den Untergang! Und darauf, dass wir uns nochmal sehen. Lass uns Einen schmettern, bevor die Preise klettern! Erst trinken, dann reden wir ...«


* * *


Ohne Punkt und Komma waren die Ereignisse der letzten Tage rasch zusammengefasst. Andro nahm die Schilderungen, Erkenntnisse und Vermutungen seines Bruders ziemlich gelassen auf.

»... und jetzt sind wir hier.«

»Ja, das hört sich fast genauso an, wie der Scheiß, den diese Liz mir in den letzten Jahren weiß machen wollte. Und du meinst, dass wir die Apokalypse zusammen verhindern können?«

»Ich weiß es nicht. Aber wenn es eine Möglichkeit gibt, dann können wir sie nur zusammen erkennen.«

»Und die Kleine trägt den Schlüssel, sagst du? Den Schlüssel zu anderen Welten? Und wir den zum Wissen des ganzen Universums? Mal angenommen, du hast Recht, Brudilein Ober-Auserwählter ... Meinst du nicht, dass das dir, oder uns, einfach das Hirn wegbrutzeln würde? Und wie sollen wir unsere Kern-Hälften überhaupt verbinden? Rausschneiden und dann ein bisschen Panzertape drum? Wir sollten Ser..., Phi... Neko? Wie auch immer, dazu befragen, denke ich. Sie muss noch etwas wissen. ›Schlüssel‹ sagst du ja ... Wie heißt sie denn jetzt nun?«

»Das ist kompliziert. Ich glaube mittlerweile, dass sie nicht einfach nur viele Namen trägt, sondern dass es drei völlig unterschiedliche Persönlichkeiten sind. Das ist irgendwie auch nicht richtig ... Eher, dass drei Wesen sich einen Körper teilen. Die Serva in ihr hat mit ihrer eigenen Kraft die anderen bisher nur unterdrückt, glaube ich. Mit abnehmendem Staub ist ihre Macht über die anderen zwei immer mehr geschwunden. Und jetzt brechen sie durch.«

»Und dummerweise hast du keinen Plan, welche von ihnen diejenige ist, die uns helfen wird, oder? Geschweige denn, was ihre Persönlichkeitsänderung auslöst oder wie du es kontrollieren kannst. Hab ich Recht?«

»Nicht ganz. Nicht ich, sondern wir. Zusammen sollten wir einen Einfluss auf sie haben. Genesis konnte sie auch kontrollieren ... mehr oder weniger. Ich schätze wir müssen ...«

»Neeeeein!«

Die Brüder sahen sich mit großen Augen an. Nase und Krume hoben die Köpfe und drehten die Radarschüsselohren zur Quelle des Schreis. Alle vier sprangen von der Couch und stolperten durch die Halle, Richtung Palettenlager-Schlafgemach.


* * *


»Nein! Oh nein, oh nein, oh nein. Nich schon wieder. Das is nich fair!
Das is jetz das dritte Mal. Warum immer ich? Immer arme Philia.
Oh nein, oh nein, oh nein.«

Als die Vier sie erreichten, stand das Flammenkind mit den Händen vor den Augen gegenüber des großen Spiegels in der Ecke.

»Was ist passiert?!« kam es im Duett von den beiden Jungs. Nase blieb am Vorhang des Durchgangs stehen. Krume strich ihr bereits begrüßend um die Beine.

»Ich ... ich ... Warum is Philia schon wieder nackt? Langsam mag ich nich mehr! Hat Neko die schönen Sachen schon wieder verbrannt? Neko is gemein. Und ich bin Schuld. Tut mir leid, tut mir so leid. Oh nein. Nein, nein, nein!« Dann liefen bereits die Sturzbäche unter ihren Händen hervor.

Bevor die beiden Brüder angemessener reagieren konnten, als das splitterfasernackte Mädchen nur im Spiegel anzustarren, war es Krume, der am weißen Pullover emporsprang und ihn mit den Krallen und seinem Körpergewicht von der Staffelei zupfte. An einem Ärmel zerrte er ihn zwischen den Zähnchen zum Flammenkind und drapierte ihn mit einem fragenden »Hraff?« auf ihren eiskalten Füßen.

Als sie die Hände vom Gesicht nahm und das Schaf erblickte, wichen die Tränen sofort einem letzten Schniefen, dann einem überraschten Freudenseufzer. »Au fein, Neko hat ihn doch nich kaputt gemacht. Danke, Mauzi.« Als sie sich nun bückte, um das Kleidungsstück aufzuheben und ihrem schnurrenden Gentleman über den Kopf zu streicheln, erblickte sie die beiden um die Wette starrenden, stummen Beobachter. Mit einem schrillen Kreischen wirbelte sie herum, hielt sich den Pullover vors Gesicht und legte blind den Rückwärtsgang ein.
Dabei stolperte sie über die eigenen Beine und landete mit einem klatschenden Geräusch auf ihren entblößten vier Buchstaben.
»Aua, aua, aua ...« Schnell zog sie sich den Schlafsack von den Paletten über den Kopf. »Bitte tut mir nix! Was habt ihr mit der armen, wehrlosen Philia gemacht? Sagt schon, ihr Perversen!«
Unter dem Schlafsack versteckt, wuselte sie sich umständlich in den Pullover, dann streckte sie zackig einen Arm hervor. »Hose!«

Unter den Argusaugen ihres Aufpassers »Hraff!« übergab Azur ihr die restlichen Kleidungsstücke.

»Tut uns leid. Wir wollten nicht ... Wir dachten es wäre etwas ...
Wir warten um die Ecke. Zieh dich einfach an, okay?« Azur zog den schmunzelnden Andro am Kragen durch den Vorhang zurück in den Arbeitsbereich.

»Wir haben überhaupt nichts gesehen. Ehrenwort. Und wenn, dann hat dich nur Kiro betatscht vorhin. Ich bin unschuldig«, musste Andro unbedingt noch ergänzen.


* * *


Fünf Minuten später kam sie mit Krume auf dem Arm zaghaft auf die beiden zu, die sich noch einmal in aller Form bei ihr entschuldigten.

»Das hier ist mein älterer Bruder Aleandro. Aleandro, das ist ...«

»Du bist Philia, oder? Kiro hat mir schon einiges von dir erzählt.
Freut mich, dich kennenzulernen. Kannst mich ruhig Andro nennen. Normalerweise verschleppe ich keine bewusstlosen Mädchen und reiß ihnen dann die Klamotten runter. Aber heute dachte ich, ich mache mal eine Ausnahme, damit ihr euch nicht erkältet ... oder ersauft, nicht zu vergessen.«

Als er ihr gerade einen charmanten Handkuss geben wollte, ging sie schnurstracks an ihm vorbei auf mehrere der Bronzeskulpturen zu.
»Bist du ein Dra'ák?«

»Nein, eher Bildhauer, würde ich sagen. Wie kommst du ...«

»Warum besitzt du dann soviel Dra'ák-Technologie?«

»Techno... Das sind meine Werke. Statuen. Abstrakte Skulpturen.
Die sind noch nicht ganz fertig, ich will sie noch ...«

»Klar sind die Komponenten schon fertig. Du hast sie bloß nich zusammengebaut. Kiro? Gib mir mal das Portal-Büchlein. Hast du das noch?«

Azur holte das noch nasse kleine Buch und gab es ihr. Während sie darin blätterte, tauschten die Brüder untereinander stumme Fragen aus.

»Hier! Guck!?« Sie hielt den beiden das tropfende, aufgeschlagene Büchlein unter die Nasen. »Siehst du? Die Teile sehen genauso aus wie die Bilder, die ich mir angeguckt habe. Das sind alles
Maschinen-Dingsbumse.«

Beide betrachteten abwechselnd die stark verlaufenen Zeichnungen und Andros Fragment-Skulpturen. »Du hättest die mit Bleistift zeichnen sollen, nicht mit Tinte, Kiro. Dann könnte man die jetzt noch besser erkennen.«

»Wieso ich? Die sind nicht von mir.«

»Haben aber frappierende Ähnlichkeit mit den halbfertigen Symbolen, die du früher ständig gekritzelt hast, findest du nicht?«

»Ja, die, die du in deinem Zimmer hattest!«, warf Philia ein.

»Findet ihr? Ich sehe da eher Gemeinsamkeiten mit deinen unfertigen Metallteilen.«

»Hey, was heißt hier ›Metallteile‹? Das ist Kunst!«

»Wartet kurz. Können wir herausfinden. Ich hab sie im Rucksack.«

Als er den Stapel Blätter geholt hatte, breitete er sie auf dem Boden aus. Andro sorgte für Beleuchtung, indem er drei kleine Baustrahler einschaltete. Alle drei hockten nun auf dem Boden, wie Kinder beim Puzzeln. Nacheinander wurden verschiedene Zeichnungen fachmännisch begutachtet, umhergeschoben und gegen das Licht und vor die Skulpturen gehalten. Dann stand Andro langsam auf. Vor lauter aufgeregtem Forschergeist hatte er gleich drei der Blätter in der Hand, die er vor dem durchscheinenden Licht jetzt gegeneinander verschob.

»Das solltet ihr euch mal anschauen. – Verdammt! Ich wollte eigentlich Heureka rufen.«

Philia zog sich an Andros Ärmel auf die Zehenspitzen hoch, um etwas zu erkennen. Azur legte das Kinn auf die Schulter seines Bruders, um dessen Blickwinkel einzunehmen. Zusammen erkannten sie, was er entdeckt hatte. Zwei der drei Symbole ergänzten sich in ihrer Linienführung.

»Das kann auch Zufall sein«, meinte Azur.

Andro widersprach: »Glaub ich nicht. Gleich an sechs, sieben Punkten passt es ganz genau. Wie in einem Schwung. Selbst die verschiedenen Strichstärken passen perfekt.«

»Da fehlt aber immer noch was, Jungs. Da unten, und da, an den Seiten. Wir müssen weitersuchen. Das macht echt Spaß! Ich mag Puzzeln.«

Was keiner der beiden anderen sah, hatte Azur unter Herzklopfen jetzt vor seinem geistigen Auge. »Manchmal muss man weiter vorausschauen als nur eine Armlänge, Bruderherz.« Er griff Andros Handgelenk und korrigierte Winkel und Richtung etwas. »Siehst du's?«

»Leck mich, ist das creepy!«

Jetzt hielten sie das erweiterte Symbol genau zwischen zwei der größten Skulpturen und die auslaufenden Linien gingen vom Papier nahtlos in die äußeren Konturen der Kunstwerke über. Vorder- und Hintergrund bildeten eine so perfekte Einheit, dass den beiden schwindelig wurde.

»Jetzt fehlt nur noch unten ein Fitzelchen«, stellte der Künstler fest.

Bei dem Wort ›unten‹ blickten beide im Reflex zu ihren Füßen.
Auf dem Boden vor ihnen hockte das Flammenkind wieder vor den restlichen Papieren und schob diese fleißig hin und her.
Ungeniert starrten die zwei das unschuldige Geschöpf schon wieder an. Diesmal an die Stelle zwischen tiefem Hosenbund und hochgerutschtem Pullover.

»Kiro, ich bin raus. Lass dir ruhig eine knallen ...«

Als hätte sie die Blicke gespürt, hielt Philia mit Puzzeln inne und hob den Kopf. Ohne sich umzudrehen oder etwas zu sagen, griff sie hinter sich in die leere Gürtelschlaufe und zog die Hose etwas nach oben. Dabei verdeckte sie die Blumennarbe über ihrem Steiß wieder.

Andro trat, unschuldig die Hände erhoben, einen Schritt zurück und Azur räusperte sich. »Philia? ... Liebste Philia, du magst doch Puzzeln ...«

»Ja?«

»Wie würde es dir gefallen, wenn du selbst ein Puzzleteil wärst?«

»Hä?«

»Ich weiß nicht, wie ich das jetzt am ungeschicktesten sagen soll ... Möglicherweise ... Ich meine, wenn du ... Wenn wir das Puzzle lösen wollen, müsstest du ... Naja ...«

»Kiro will sagen, dass er dich gerne nochmal nackt sehen will!«, platzte Andro heraus und nahm sofort noch einen Schritt Sicherheitsabstand.

Das Flammenkind sprang auf und drehte sich auf dem Absatz ­– und den Skizzen – zu ihnen um. »Ihr spinnt wohl! Ich wusste, dass ihr hinter meinem Rücken was Gemeines ausheckt! Könnt ihr vergessen, ihr perversen Spanner! Das is doch bloß ein Trick! Menschenkerle haben immer bloß das Eine im Kopf! Ich bin doch nich eure ...«

»Nein, haben wir gar nicht! Bitte, hör zu. Es geht doch nur um ... ich meine, nur von hinten ... ähm, deine ... ach verdammt, sag doch auch mal was.« Hilfesuchend blickte sich Kiro nach seinem großen Bruder um, der sich völlig unbeteiligt einen neuen Joint anzündete.

»Das klär mal hübsch alleine. Da hast du dich jetzt selbst reinmanövriert. ›von hinten ...‹ irgendwie konntest du Frauen gegenüber noch nie die passenden Worte finden, Herr Dichter.«

Hilflos wandte er sich wieder Philia zu, die nun mit vor der Brust verschränkten Armen und aufgeplusterten Wangen versuchte, den ungeschickten Wörterschmied mit ihrem Blick zu vernichten. »Entschuldige. Noch mal von vorne, okay?«

»Ach, ich dachte ›von hinten‹? Kannst du alles mit deiner Kali machen. Oder meinetwegen mit Serva. Aber nich mit mir!«

»Gott, warum sind Frauen so kompliziert. – Es geht doch um deine Narben. Genesis sagte, du trägst den Weltenschlüssel. Ich glaube, dass es was mit deinen Narben zu tun hat. Sie sind die fehlenden Puzzleteile. Du musst dich doch nur umdrehen und kurz deinen Pullover nochmal ausziehen. Mehr will ich doch gar nicht.«

»Du ›willst‹?«

»Ich meine, ich möch...« Dann tauchte in Azur wieder die weiße Seite auf. Schnell zeichnete sich darauf etwas ab, das wie ein Wasserzeichen, eine Signatur aussah. Verschlungene Linien in einer Sprache, die er nicht kannte. Doch der Geruch von Angst und Unterwürfigkeit, den er daraus vernahm und die brennende Nähe einer Energie, einer Schaffenskraft, die seiner eigenen, innersten glich, doch eindeutig von seiner zweiten Kernhälfte ausging, ließen ihn die Bedeutung darin deutlich spüren.
»... Ich will, dass du dich umdrehst. Ich will, dass du dich ausziehst und mir deinen Rücken zeigst. Jetzt!«

»K-Kiro. I-Ich ...« Philias Stimme brach in ein hohes Flehen. »Tu das nicht, bitte!« Ihre Pupillen weiteten sich schnell. In ihnen spiegelten sich die blauen Flammen eines übermächtigen Willens. So sehr sie auch dagegen ankämpfte, sie konnte sich ihm nicht verweigern. Sie kannte den Blick, der sie zwang, doch waren es nicht mehr zwei, sondern vier. – Vier blaue Punkte, denen sie gehorsam sein musste.

Philia gab auf. Philia drehte Azur, wie befohlen, den Rücken zu.
Philia schloss die Augen ganz fest und zog sich langsam vor ihm aus.


                                                                      »So is es fein, kleine schwache Phi.
                                                                        Der Herr brauch dich nich mehr!
                                                                        Deine Zeit is vorbei! Okay? Du weißt,
                                                                        was jetz kommt!? Jetz kommt der
                                                                        Schmerz! Und du stirbst! Lass los,
                                                                        Kleine. Du musst nich mehr tapfer
                                                                        sein, ja? Der Herr will mich! Ich kann
                                                                        ihm geben, was er verlangt.«

»Serva, ich hab Angst ...
Tut das jetzt dolle weh?«

                                                                      »Nein, Süße. Nich dir, wenn du jetzt
                                                                        einfach die Augen zumachst und
                                                                        nicht mehr festhältst. Es ist wie
                                                                        einschlafen. Einschlafen und nie
                                                                        wieder Schmerzen fühlen.
                                                                        Vertrau mir.«

»Aber er wird dir wehtun,
statt mir. Ich will das nich!«

                                                                      »Keine Angst. Ich bin das doch
                                                                        gewohnt. Ich hab dich lieb, Phi.
                                                                       Und nich weinen. Versprochen?«

»Okay. Ich weine nich, wenn
du auch nich weinst.
Versprochen?
Pass auf dich auf.
Ich hab dich auch lieb, Serva.
Für immer ...!«


Als Serva die Augen öffnete, ließ sie bereits aus Gewohnheit auch das Höschen über Schenkel und Waden hinab in den Staub rutschen.
Ein herrischer Schauer durchfuhr ihren Körper und ihre Beine gaben unter ihr nach. Als ihre Knie auf dem schmutzigen, weißen Pullover am Boden aufkamen, flüsterte sie noch einmal: »Phi ...?«
Doch da war keine Philia mehr.
Und Serva brach zitternd ihr gerade gegebenes Versprechen.

(T -34h:55m:00s)

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top